Ich mag Unzulänglichkeiten trotzdem. Diese lästigen Eigenschaften, die wie Kaugummi an einem haften, ja, uns sogar hartnäckig verfolgen. Stalker-Eigenschaften, ohne die man ja fast perfekt wäre. Nehmen wir mal mich: Ohne diese verlagerten ADHS-Formen wäre ich fast ein bisschen ein organisierter Mensch. Ich denke organisiert und bin organisiert und dann … Ja, dann kommt mein innerer Stalker und ruiniert alles. Sie kennen bestimmt den Sketch von Loriot im Wartezimmer. Er will nur mal kurz das Bild mit dem Zeigefinger gerade stupsen. Ja, es endet im Chaos. In der Verwüstung des gesamten Zimmers.
Ich habe mich gerade für ein wichtiges Meeting parat gemacht: Unterlagen zusammengestellt. Mich sogar gezwungen, sie ordentlich in eine Mappe zu stecken. Da ich nur eine Mappe finde, die besetzt war, muss ich den Inhalt wegen Zeitmangels schnell ausleeren … Was darauf folgt, ergibt eine neue Kolumne. Ich habe mich anständig angezogen, was wieder fast im Chaos endet – wie machen es Menschen, die es immer fertigbringen, wie aus dem Ei gepellt auszusehen? Bei mir hat es da ein Loch, dort einen Fleck … Das passt nicht zu dem, und Schuhe habe ich nur welche, die zu jenem passen. Und bevor ich die Wohnung verlasse, bemerke ich, dass die Nähte der Bluse aussenherum sind.
Also noch schnell umdrehen das gute Stück, alle Fenster zumachen und checken, ob alle Herdplatten ausgeschaltet sind. Im letzten Moment noch an den Müllsack gedacht – heute ist Abfuhr. Was bin ich stolz, dass ich alles im Griff habe und sogar fast rechtzeitig das Haus verlasse. Würde ich mich von aussen sehen, sähe ich eine souveräne Frau. Dachte ich.
Ich erreiche das Tram, steige fröhlich ein und nehme Platz. Innerlich bereite ich mich auf das Meeting vor. Klappt doch wie am Schnürchen! Nur schade, hat es mein Sitznachbar nicht so im Griff, denke ich. Ein wenig Deo wäre nicht schlecht. Oder überhaupt grad duschen … Und innerlich fange ich an, ab so viel Nachlässigkeit wütend auf ihn zu werden. Schliesslich musste auch ich lernen, selbstdiszipliniert zu sein. Mühsam. Grad will ich ihm den Satz «Wenigstens Febreeze! Nimm wenigstens Febreeze!» in seine geföhnten Haare rufen, da bemerke ich zwischen meinen Beinen einen blauen Sack … Ja, ich habe ihn ins Tram mitgenommen. Eine souveräne Frau im Tram, mit einem Müllsack zwischen den Beinen, der zum Himmel stinkt. Ich sags ja, ohne diesen lästigen ADHS-Stalker bin ich organisiert.
Nur sieht das dann wieder keiner.