Sie wurde enthüllt. Das Geheimnis wurde gelüftet. Zu haben ist die Schönheit aber erst ab Donnerstag. Die Rede ist von der neuen Hunderternote. Ich fange an zu überlegen, was man mit hundert Franken alles anstellen kann. Nach Statistik übrigens die meistgebrauchte Note. Einmal essen gehen zu zweit in Basel ohne Firlefanz natürlich. In Zürich reicht es grad mal für eine Person – aber das nur, wenn grad Aktion ist.
Ich muss zugeben, ich habe so aktuelle Preise nicht wirklich im Bewusstsein. Ich weiss eigentlich gar nicht so genau, was ein Liter Milch, 1 Kilo Brot, 1 Kilo Waschmittel oder 500 Gramm Hörnli im Durchschnitt kosten. Steht Aktion drauf, glaub ich das auch unhinterfragt.
Laut Umfrage geht es vielen Menschen wie mir: Brot wird im Allgemeinen teurer geschätzt, hingegen Waschmittel weit günstiger. Was ich aber bemerke, ist die Grösse der Papiertasche und deren Füllmenge, je nachdem, in welchem Laden ich meinen Einkauf tätige – bei gleichen Ausgaben.
Die Generation meiner Mutter jedoch wusste und weiss es noch immer ganz genau. Was staune ich, wenn sie mir wieder vorbetet, da und da sind die gleichen Trockenbohnen oder Zwetschgen 12 Rappen teurer und von gleicher Herkunft. Da nicke ich jeweils stumm am Telefon, als ob sie das sehen könnte, und denke, ich weiss mal wieder gar nichts. Ich werde ewig im Dunkeln wandeln müssen.
Da erinnere ich mich daran, wie sie mich mit Rappen ausgerüstet in die Bäckerei schickte, um ein Pfünderli zu kaufen. Ich liebte die Bäckerei! Der Duft dort hüllte mich ein wie ein warmes Zuhause. Die Bäckersfrau persönlich wickelte mein Brot mit einem herzlichen Lächeln in Papier, nachdem ich ihr die 50 Rappen überreicht hatte. Und auf dem Heimweg duftete das Brot so unverschämt provokativ, dass ich die Beherrschung verlieren musste. Ich schaute es mir von allen Seiten an, um die Stelle zu eruieren, wo mein Anknabbern nicht auffallen würde. Da war der Ansatz, wie ein weisser Po, und genau da stahl ich vom Weichen nur ein Fitzelchen. Und noch eines, weil es sich – Ehrenwort – von allein löste, sodass ich es wegessen musste. Sonst würde ja mein Diebstahl auffliegen. Aber ich wusste eigentlich, dass ich mir da was vormachte, denn was mich eigentlich lockte, war die Kruste.
Kurz vor der Übergabe zu Hause wickelte ich den inzwischen grossen Krater und das verkürzte Hinterteil in Papier. Kaum war das Massaker verhüllt, glaubte ich sogar selber an meine Unschuld. Und dieses Spiel machten wir täglich, und täglich meinte meine Mutter, das Loch im Brot betrachtend: «Hmmmm… da müssen Mäuse dahinter gewesen sein!»
Sie war mir nie böse, und ich konnte mich weiter in Unschuld wiegen und das frische Brot geniessen. Ich sehe heute noch die paar Räppli in meiner Hand, mit denen ich ein ganzes Brot kaufen konnte. Stellt euch vor, wie gross die Tasche sein musste, und die Menge bei einem Einkauf mit hundert Franken. Der Keller aller Nachbarn wäre voll gewesen mit 200 Pfünderli. Oder Kartoffeln. Oder Milch. Heute ist die Ausbeute hingegen je nach Laden bescheiden.
Rekord hält der Einkauf in einem Schweizer Bioladen: drei Stück Käse, irgend so ein speziell gedrehtes Joghurt, noch was Körniges und ein geflochtenes Brot, das nicht mal roch. Weg war der Giacometti. Ich schaute ihm nach, wie er in der Kasse verschwand, seufzte wehmütig und dachte: «Na, der hatte es ja auch nicht einfach mit seiner strengen Mutter.»
Der Giacometti begleitet mich jetzt nicht mehr durch die Einkaufswelt, jetzt ist es die von Grafikerin Manuela Pfrunder gestaltete blaue Papiernote. Sie hat die humanitäre Seite der Schweiz zum Thema und Wasser als Element mit den schöpfenden Händen und der Walliser Wasserleitung. Auch wenn die Kaufkraft des Frankens deutlich nachgelassen hat, hoffe ich, dass die Symbolik an Bedeutung gewinnt. Jedes Mal beim Ausgeben der Hunderternote werden wir daran erinnert, dass wir Gutes tun und an andere denken sollen.