Ich weiss, ich sollte noch dies und das anpacken. Unter anderem auch diese Kolumne schreiben. Oder zumindest «zfadeschlaa», wie ich auf Züritüütsch zu sagen pflege. Und das denke ich, während ich im Bett sitze und meine «Morgenseiten» schreibe. Darauf will ich nicht eingehen, denn die schreibe ich ja jeden Morgen. Ich sitze und schreibe, und in den Pausen schaue ich durch mein Schlafzimmerfenster.
Normalerweise geniesse ich in diesen Pausen meine wunderbare Aussicht mit den Bäumen und den verspielten Eichhörnchen, streitenden Katzen und fallenden Herbstblättern. Aber ausgerechnet in der einen zweiminütigen Pause scheint die Sonne in mein Fenster. Und ich sehe dem Desaster direkt ins Gesicht: Das Fenster ist schmutzig! Und ich möchte am liebsten Hand anlegen. Aber ich kenne mich, denn so geht es mir oft. Ich sollte etwas am Schreibtisch erledigen. Und was mache ich stattdessen? Aufräumen, putzen und ordnen. Oder waschen – wenn nötig sogar von Hand. Und mit der Kolumne im Nacken kommt mir die Sonne grad recht, die so gnadenlos durch mein Fenster scheint, dass ich es sehen muss!
Ich sehe nämlich, dass nur die Hälfte der Scheibe leuchtet, während die anderen zwei Drittel grau und beige, dumpf schlammig und ganz und gar nicht durchsichtig bleiben. Und sofort bin ich voller Tatendrang: «Nach den Morgenseiten zieh ich mir Gummihandschuhe an und besprüh und wasch und…,» dachte ich und spürte fast schon körperlich die Erleichterung mit der Beseitigung des Schmutzes. Kaum gedacht, versteckt sich die Sonne wieder hinter grauen Wolken, und mein Fenster zeigt wieder blankes Glas.
Die zwei Minuten waren es also dann mit Sonnenschein. Der Regen übernimmt wieder, wie schon gefühlt die ganze letzte Woche und nach Prognose auch bis zum Ende der Herbstmesse. Gestern lief ich mit meiner Tochter bei Regen mit Kapuze und Käppi über den Münsterplatz, und wir staunten, dass noch andere Menschen bei dem Wetter da waren. In Anbetracht dessen, dass es sich um einen Freitagabend handelte, wurde es uns etwas schwer ums Herz.
Wenig Menschen, sehr wenig. Normalerweise kann man sich vor lauter Menschen kaum vorwärts bewegen. Heute könnte ich mit meiner Tochter wie Ginger und Fred quer durch die Gassen tanzen. Und laut «I’m singing in the rain» singen, es würde kaum jemanden stören. Ich liebe die Herbstmesse, dieses bunte Treiben mit den farbigen Lichtern, lauter Musik und grellen Scheinwerfern. Ich mag gerade diese alten Traditionen und Stände, wie das Büchsenwerfen, den Hau-den-Lukas und das Riesenrad. Stände, die es auch schon in meiner Kindheit gab. In meiner Geburtsstadt Winterthur ging ich als Kind an die Chilbi, wo dieselben Stände standen, aber eben viel, viel weniger. Und bei diesen Ständen kann man vielleicht erahnen, dass solche Stadtfeste auf eine lange Geschichte blicken.
Dennoch war ich völlig überrascht zu erfahren, dass es die Basler Herbstmesse seit über 500 Jahren gibt. Entstanden, um das Budget der Stadt nach Krankheit, Krieg und Hungersnöte aufzubessern. Diese Tradition hat sich bis heute gehalten und ist nach wie vor bei Jung und Alt beliebt. Wir liefen mit einem Beggeschmutz in der Hand an der guten alten «Snow Dream», der Berg-und-Tal-Bahn, vorbei und hörten das übliche Kreischen und Angstschreie. Lange schauten wir auf die vorbeirasenden Wägeli. Da endlich sahen wir den einen Fahrgast. Doch alle Gesichter, die ich an diesem Abend an der Herbstmesse gesehen habe, strahlten, lachten und glänzten wie mein Fenster bei Regen.
Die wundersame Stimmung ist durch das bisschen Wasser bestimmt nicht zu bremsen.