«Gott sei Dank habe ich so grossartige Freundinnen», dachte ich, während ich den Mund zur Kieferentlastung ausnahmsweise für Sekunden schliessen durfte. Ein kurzes und durchaus mitfühlendes «gehts», und weiter ging es mit der Bearbeitung meiner Zähne. Und wie immer bewundere ich ihr kraftvolles und effizientes Handwerk. Ich könnte das Rumgewusel in fremden Mündern ja nicht, und erst recht nicht bei nicht fremden Mündern, sprich Freundinnen.
Das sage ich ihr auch während der Behandlung. Zu hören ist dann ein: «Ähhhhgnöööögnaaaanöööö ». Und jetzt kommt das Wunder! Das Mysterium aller Zahnärzte. Sie antwortet! «Ach weisst du, ich mache diese Arbeit sehr gerne!» Denken tue ich: «Die letzte Antwort war bestimmt ein Zufallstreffer!», und dann laut: «Aaaaerrrraaahaaa!» «Nein, nicht papperlapapp! Wirklich! Ich liebe meinen Beruf,» lautet ihre Antwort. Jetzt wird es unheimlich. Sie versteht meine Worte, die eher nach gewürgtem und betrunkenem Hahn klingen als nach einem Sinn.
Das Gegurgel klingt so dermassen sinnentleert, dass ich ernsthaft an meinem eigenen IQ zu zweifeln beginne. Kann man überhaupt als Zahnärztin seine Patienten nach einer solchen Kommunikation ernst nehmen? Das muss ich annehmen, denn sie beginnt auch des Öfteren die Kommunikation freiwillig mit mir. «Mir» ist in diesem Fall ich, liegend, mit dem Mund nicht nur voller Speichel trotz Absauggerät, Spangen und Drähten, sondern auch mit der Hand meiner Zahnärztin und dem Bohrer, plus der Hand der Assistentin mit dem mobilen Absauggerät und obendrauf dann noch das grelle Licht der Lampe.
Das alles in meinem zarten Mündchen. Es ist schwierig, in dieser Lage noch positiv zu bleiben. Grundsätzlich gegenüber dem Zahnarztbesuch. Die Plauderei mit ihr macht aber grosse Freude und erheitert! Ich stell mir einen Kommunikationslehrgang für angehende Zahnärzte vor, wo sie lernen, sattelfest ihre PatientInnen während des «Bearbeitungsprozesses » zu verstehen: «Haaaahaaaa» heisst nicht «lach», sondern «danke» und «hiiiiihiiiiieeee?» «wie bitte?».
Wahrscheinlich ist es wie bei Müttern, die die Sätze ihrer süssen Kleinkinder verstehen, während es für Aussenstehende nach gar nichts klingt. Das Kind so: «gnnnöihfwge», und die Mutter antwortet gelassen: «Nein, mein Sohn, sonst muss ich meine Konsequenzen ziehen.» Kommunikation ist ein Wunder, nicht nur bei der Behandlung auf dem Stuhl, sondern auch im Alltag. Denke ich und schaue im Morgentram umher. Alle gebeugt über ihrem Handy. Es ist still, keiner spricht, und wenn, dann nicht miteinander. Dabei ist ein gutes Gespräch das, was vielen Menschen fehlt.
Das Resultat sind Einsamkeit, Krankheit und Depression. Wir Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen das Gefühl des Miteinanders, das vor allem über eine Kommunikation stattfindet, übers schlichte Plaudern. Wo wird heute noch geplaudert? Einfach so, ohne irgendwas Sekundäres im Sinn zu haben und ohne sich zu kennen? Überall eilt es, überall tut man so, als sei man stark beschäftigt! Für niemanden ist Zeit da, und man ist erst recht auf niemanden angewiesen, das gilt heute als ideal. Wie schön, dass es in Holland die ersten Supermärkte gibt, die Plauderkassen eingeführt haben. Da schaut niemand wütend, wenn es etwas langsamer geht, weil man mit dem Kassierer oder der Kassiererin plaudert, während man gemächlich die Ware einpackt. Gedacht sind diese Kassen für alte Menschen, aber ich werde mit Bestimmtheit da anstehen! Dann mache ich mir einen Plaudertag und geh direkt nach dem Zahnarztbesuch mit betäubter linker Backe einkaufen, stell mich in die Reihe der Plauderkasse und sage fröhlich zur Kassiererin: «Hannngee! Hööööönnn, has hes has hiiit.»